27 Juni 2006

 

Die grosse Euphorie (WM-Kolumne 5)

16:04. Seminar in den Räumen der Stadtzeitung „Hamburger Abendblatt“. Jubelschreie durchdringen die dünnen Wände des Zimmers. Sie haben die Funktion einer Pausenglocke: Seminar Schluss, weiter nächste Woche, blabla, Deutschland 1:0, unten Grossleinwand, tschüss. Wir Schweizer, die uns die Woche zuvor schon für das frühzeitige Ende des Seminars stark gemacht hatten (reguläres Ende des Seminars überlappte mit der Radfahrt zur für die für Schweiz-Togo vorgesehene Strandbar), pilgerten – im Gegensatz zu unseren unter Strom stehenden Deutschen Komilitonen – unerschrocken zum nah gelegenen Uni-Campus und schauten uns nach einem geeigneten Ort um, wo wir das Spiel „mit einem Auge“ (so unser Kompromiss) sehen konnten. Schliesslich musste auch der Lektüre internationaler Presse zum Schweizer Sieg genügend Zeit gewidmet werden. Dass diese WM die „Haki-WM“ wird (ganz unabhängiges Nicht-Weil-Ich-Sein-Bruder-Bin-Zitat von Murat Yakin in „heute“), ja DAS musste mir aber schon ein Informant aus der Schweiz mitteilen.

Die Deutschen, ja die sind jetzt ganz euphorisch! Die kulminierten Dezibel der Jubelschreie nach dem Tor gegen Polen sollen ja angeblich die seit der Wiedervereinigung höchsten Werte erreicht haben (mutmasst zumindest der „Spiegel“). Zeit, dass denen ein

Wo ist Walter?

paar galaktische Ballkünstler die Flügel stutzen! Doch wer soll das tun?
Pummel-Ronaldo? Tränen-Zidane?
Die deutschen Medien schwingen –
selbstverständlich – auf dieser Euphorie-Welle mit (angeführt von...ihr wisst schon wem) und

fordern Ecua-Tore oder gleich den Weltmeistertitel. Die vor der WM tobende „Debatte“ über die deutsche „Schlappwehr“ war schon nach dem bravourösen Sieg gegen Costa Rica vergessen. Und lokale Geschäfte machen Geld mit Trinidad-Schlüsselanhängern und Weltmeister-Kartoffelsalat. Das „Fifa-Fan-Fest“ in Hamburg schliesslich musste anlässlich des Spiels Deutschland gegen Polen seine Tore schliessen, mehr als 60’000 Leute (gleich viele wie im 250 km entfernten Dortmund im Stadion das Spiel verfolgten) haben auf dem Areal nicht Platz. Einen grossen wirtschaftlichen Gewinn erwarten bekanntlich auch die WM-Städte. Ob aber 5 WM-Spiele pro Stadt ausreichen, um die enormen Ausgaben zu rechtfertigen? Vielleicht schwangen auch die Stadtverwaltungen nur mit, auf der hohen, gigantischen Euphoriewelle.

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